Schwere Angriffe auf die sozialen Rechte

Überblick über die Gesetzesvorhaben der Bundesregierung

Den Lohnabhängigen stehen schwere Einschnitte ihrer Rechte bevor. Nach den beiden Asylpaketen kommen nun vier Gesetze, die es in sich haben. Bisher handelt es sich noch um Planungen oder Kabinettsbeschlüsse, es kann also noch zu Änderungen kommen. Die geplanten Veränderungen im Sozialrecht unter dem täuschenden Titel „Rechtsvereinfachungen“ werden schwere Folgen für Erwerbslose und Niedriglöhner haben. Das sogenannte „Integrationsgesetz“ wird neben einigen Verbesserungen die Rechte der Geflüchteten einschränken und ihre soziale Lage verschlechtern. Mit den neuen Regelungen zur Leiharbeit wird diese gesetzlich weiter verankert und keineswegs eingeschränkt. Für EU-Bürger sollen Sozialleistungen weitgehend ganz versagt werden. Die bereits beschlossenen Asylpakete bedeuten die Zerstörung des letzten Rests des Asylrechts und verschärfen den Existenzdruck der Geflüchteten.

Zur Einordnung in die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung:

Ein faules „Jobwunder“

Laut Berichterstattung gibt es weiterhin ein „Jobwunder“ in Deutschland. Mit weit über 3 Millionen Arbeitslosen, mehr als 1 Million Leiharbeitern und der weiter deutlich zunehmenden Teilzeitarbeit und befristeten Verhältnissen entpuppt sich der Beschäftigungsrekord von 43 Millionen als wenig berauschend für die Beschäftigten und Erwerbslosen. Der Niedriglohnsektor ist mit rund 25% aller Beschäftigten weiterhin sehr groß und wird durch die beschlossenen Maßnahmen verfestigt und vergrößert. Die Menschen, die vor Krieg und Elend die Flucht nach Europa noch geschafft haben, bevor die EU die Grenzen dicht machte, werden nun mit drastisch eingeschränkten Aufenthalts- und Asylrechten konfrontiert (zu den Asylpaketen verweisen wir auf die Informationen von Pro Asyl).

Vorbereitung auf die nächste Krise?

Das Wirtschaftswachstum war im vergangenen Jahr mit 1,7% eher niedrig. Seit der Krise von 2008 reicht es nicht aus, um wirklich mehr Arbeit für mehr Menschen zu schaffen. Die Löhne steigen ebenfalls nur moderat und für größere Teile der Beschäftigten gar nicht. Ein Ausdruck dafür ist auch die weiter steigende Armut – 1,5 Millionen Kinder (und ihre Eltern) leben in Armut und es werden mehr. Das Ziel der Unternehmen ist es, Löhne und Sozialleistungen weiter abzusenken. Falls es im Laufe der nächsten Monate und Jahre zu einer erneuten Krise kommen sollte, sollen bereits weniger soziale Rechte vorhanden sein. Das ist der Hintergrund für die aktuellen Angriffe.

Kaum Widerstand

Während in Frankreich und Belgien tausende gegen die geplante Einschränkung des Kündigungsschutzes und die Ausweitung der gesetzlichen Arbeitszeit protestieren und streiken, gibt es hierzulande kaum Widerstand. Die Spaltung der Lohnabhängigen in Erwerbslose und Beschäftigte, Stammbelegschaft und Leiharbeiter, in Deutsche, Migranten und Flüchtlinge zeigt ihre fatale Wirkung. 

Die Angriffe im Überblick:

  1. Leiharbeit-Regelung: Betrifft Erwerbslose und Niedriglöhner und indirekt die „Stammbelegschaften“
  2. „Rechtsvereinfachungsgesetz“: Verschärfungen im Sozialgesetzbuch, betrifft vor allem Erwerbslose, Niedriglöhner, Ältere und Alleinerziehende
  3. „Integrationsgesetz“: Betrifft Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge
  4. Streichung der Sozialleistungen für EU-Bürger: Betrifft EU-Bürger

I. Zur Leiharbeitsregelung:

Hintergrund:

Die Leiharbeit wurde 2002 mit dem ersten Hartz-Gesetz massiv ausgeweitet. Die drei weiteren Hartz-Gesetze, insbesondere der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld zum niedrigeren ALG II und den verschärften Zumutbarkeitskriterien führten dazu, dass die Jobcenter vor allem in Niedriglohn und Leiharbeit vermitteln. Dies geschieht unter Sanktionsandrohung und bei wenigen Alternativen auf dem Arbeitsmarkt für gering Qualifizierte. Seit 1985 gab es mehrere Lockerungen der Leiharbeit, die dazu führten, dass die Zahl der Leiharbeiter von 42.000 im Jahr 1985 auf 961.000 im Jahr 2015 anstieg, besonders stark nach der Hartz-Reform 2003.

Die Leiharbeit ist die Aushebelung des Kündigungsschutzes insbesondre für gering Qualifizierte, die   einmal in die Jobcenter-Spirale gelangt sind. Damit wurde eines der wichtigsten sozialen Rechte stark eingeschränkt. Ein Teil der Lohnabhängigen ist vom ständigen „Heuern und Feuern“ betroffen und setzt damit das Lohngefüge unter Druck. Viele Beschäftigte wissen das und lehnen Leiharbeit ab. Es gibt große Unzufriedenheit in den Betrieben über diese Spaltung der Belegschaften. Die CDU/SPD-Regierung versprach eine Neuregelung. Dabei ist keinerlei Verbesserung herausgekommen.

Die neuen Regelungen im Einzelnen:

  1. Leiharbeiter dürfen nur noch bis zu 18 Monate in einem Betrieb beschäftigt werden. Bisher war dies ohne Beschränkung möglich. Allerdings soll es Ausnahmen geben können, die per Betriebsvereinbarung festgelegt werden können und 6 Monate und länger betragen können.
  2. Nach 9 Monaten soll derselbe Lohn wie im entleihenden Unternehmen bezahlt werden. Diese Regelung ist besonders problematisch. Denn laut Gesetz müsste eine Gleichbehandlung ab dem ersten Tag gelten, falls es keine abweichenden Tarifvereinbarungen gibt. Da aber für die Zeitarbeitsbranche ein Tarifvertrag abgeschlossen wurde, verdienen Leiharbeiter entsprechend dieses Tarifvertrags deutlich weniger (15% bis 25%) als die Kollegen der Stammbelegschaft. Wenn dieser Tarifvertrag gekündigt worden wäre, müssten Leiharbeiter vom ersten Tag an den gleichen Lohn bekommen. Nun wurde aber per Gesetz festgelegt, dass sie neun Monate lang nicht denselben Lohn bekommen müssen. 
  3. Mindestens 50% der Leiharbeiter werden nicht von den Veränderungen profitieren, da sie nicht länger als 3 Monate in einem Betrieb eingesetzt sind. Länger als neun Monate waren 2011 nur 27% der Leiharbeiter in einem Betrieb eingesetzt. Länger als 18 Monate nur 13%, dies sind vor allem hoch Qualifizierte akademisch ausgebildete Leiharbeiter.
  4. Es wird nur der Einsatz pro Leiharbeiter geregelt, nicht aber die Besetzung eines Arbeitsplatzes mit einem Leiharbeiter. Hier müsste eine Regelung eigentlich ansetzen, um zu verhindern, dass reguläre Arbeitsplätze auf Dauer durch Leiharbeiter ersetzt werden.
  5. Bisher galt, dass auch bei einer Unterbrechung von sechs Monaten die beiden Einsätze als einer gezählt wurden und damit der Anspruch auf gleichen Lohn geltend gemacht werden konnte. Dieser Zeitraum wurde auf drei Monate verkürzt. Das wird dazu führen, dass weniger Einsätze zusammengezählt werden können und damit der Lohnanspruch verfällt.
  6. Leiharbeiter dürfen in einem streikenden Betrieb eingesetzt werden, aber nur wenn sie keine Aufgaben von Streikenden übernehmen…Wer kontrolliert das? Wer definiert das? Bisher war eigentlich davon auszugehen, dass Leiharbeiter gar nicht in einem bestreikten Betrieb eingesetzt werden dürfen, nun ist dies möglich. Die Einschränkung ist zu vage, als das sie in der Realität greifen könnte.
  7. Insgesamt ist das Gesetz eine Verschlechterung, weil es weitere Ausnahmen vom Tarif ermöglicht, wenn das Betriebsrat und Unternehmensführung in einer Betriebsvereinbarung  beschließen. 

II. „Rechtsvereinfachung“: Vereinfachte Kürzungen des Existenzminimums

Am 1. August soll das so genannte „Rechtsvereinfachungsgesetz“ nach jahrelangen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen vom Bundestag verabschiedet werden. Im Zentrum steht die vereinfachte Kürzung der Leistungen. Diese sind eigentlich das Existenzminimum und dürfen laut Bundesverfassungsgericht nicht gekürzt werden. Dennoch will die Bundesregierung über diesen Weg Geld sparen und den Druck auf Menschen erhöhen, jeden Job anzunehmen. 

Bisher sind folgende Verschärfungen im Sozialgesetzbuch geplant:

  1. Wenn man einen Job kündigt, soll man bis zu vier Jahre lang die Leistungen gekürzt bekommen. Dies führt zu einer dauerhaften Absenkung des Existenzminimums. Da in vielen Niedriglohnjobs die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung schlecht sind, gibt es viele gute Gründe zu kündigen. Mit der neuen Reglung soll dies erschwert werden, Menschen also in schlechten Jobs gehalten werden.
  2. Umzüge sollen eingeschränkt werden: Bei „nicht genehmigten“ Umzügen soll die Miete nicht mehr übernommen werden, auch wenn sie den Angemessenheitskriterien entspricht. Dies ist unlogisch und eine weitere Maßnahem zur Begrenzung der freien Wohnortwahl für Erwerbslose, ähnlich wie bei Flüchtlingen. 
  3. Wenn ein Widerspruch erfolgreich ist, sich aber auf ein Urteil des Bundessozialgericht bezieht, soll der Bescheid nicht mehr rückwirkend geändert werden, sondern nur ab dem Zeitpunkt des Urteilsspruchs. Diese Änderung wird von Rechtsexperten als Skandal bezeichnet, da sie allgemein geltende Rechtsgrundsätze verwirft und damit Sonderregeln für Erwerbslose schafft. 
  4. Monatlicher Datenabgleich bei Arbeitgebern und der Überwachung von Familienmitgliedern soll die Überwachung der Leistungsempfänger erhöht werden.
  5. Aufwandsentschädigungen über 200 Euro sollen angerechnet werden. Dies erschwert das ehrenamtliche Engagement.
  6. Zwangsverrentung ab dem 63. Geburtstag soll möglich werden und mit einer Sanktion verbunden werden: Wenn der Betroffene nicht einwilligt, werden die Leistungen ganz versagt. Folge der verfrühten Zwangsverrentung: Rentenabschläge bis zu 14,4%. Diese Änderung wird massive Folgen für viele Ältere haben. Sie kommen in die Altersarmut und bei Beziehung von Grundsicherung im Alter werden Einkommen von Minijobs oder Teilzeit komplett abgezogen. Geplant ist auch, dass nicht der Betroffene den Antrag stellen soll, sondern das Jobcenter selbst den Antrag bei der Rentenversicherung stellt – über den Kopf und den Willen des Betroffenen hinweg. 
  7. Eine mögliche Verschärfung durch Änderungen im Bundestag könnte die unbefristete Zuweisung in „Ein-Euro-Jobs“ sein. Bisher durfte man innerhalb von fünf Jahren maximal 24 Monate in eine „Arbeitsgelegenheit“ verwiesen werden. Damit werden weitere reguläre Jobs verdrängt. Ein „Sprungbrett“ in den Arbeitsmarkt sind die Ein-Euro-Jobs aber nicht.

III. „Integrationsgesetz“: Bestrafen, Kürzen, Ein-Euro-Jobs, Aufenthaltsbeschränkung

Einige Verbesserungen wird es geben, aber insgesamt atmet das Gesetz den Charakter von „Fördern und Fordern“ wie bei Hartz IV. Die Ungleichheit wird durch dieses Gesetz vertieft, es wird noch mehr Menschen geben, die unsicheren Aufenthalt haben und über wenige Rechte verfügen. Sie werden erpressbar gemacht. Die Aussagen des Innenministers Thomas de Maiziere (CDU), die Flüchtlinge müssten sich anpassen, es könne nicht jeder machen was er wolle und alles ausnutzen waren nicht nur eine Diffamierung der Geflüchteten, sondern eine Ansage an alle Lohnabhängigen. 

Das geplante Integrationsgesetz sieht folgende Punkte vor:

  1. Anerkannte Flüchtlinge sollen eine Wohnsitzauflage erteilt bekommen, solange sie ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können. Sie werden einem Landkreis zugeordnet, von dem sie nicht wegziehen dürfen. Angeblich soll damit „Ghetto-Bildung“ verhindert werden. Diese hängt aber vielmehr von günstigen Mieten ab. Das heißt, dass es innerhalb der Städte dennoch zu einer Verdrängung von ärmeren Haushalten an den Stadtrand bzw. in arme Viertel kommt. Möglich ist, dass Geflüchtete an Landkreise gebunden werden, in denen wenig Arbeitsplätze vorhanden sind. Während die restliche Bevölkerung die Möglichkeit hat, abzuwandern, sollen Geflüchtet dort festgehalten werden können.
  2. Anerkannte Flüchtlinge bekommen nicht mehr nach drei Jahren unbefristeten Aufenthalt, sondern erst nach fünf Jahren und nur, wenn man seinen Lebensunterhalt überwiegend selbst sichern kann und Deutschkenntnisse nachweisen kann. Dies ist eine deutliche Verschlechterung des Aufenthaltsrechts. Der bisher andere Status von Flüchtlingen wird damit eingeebnet und „Migranten“ angepasst. In der Konsequenz bedeutet dies, die besondere Schutzbedürftigkeit von Flüchtlingen zu negieren.
  3. Geflüchtete sollen zu einem Integrationskurs verpflichtet werden. Ein Recht auf Integrationskurse soll es nur noch ein Jahr lang geben, bisher waren es zwei.
  4. Bei Nichtteilnahme oder Abbruch des Integrationskurses werden die Asylbewerberleistungen gekürzt.
  5. Es sollen 100.000 „Arbeitsgelegenheiten“ geschaffen werden. Asylbewerber sollen für 80 cent in der Stunde arbeiten. Sie sollen Arbeiten in den Unterkünften oder in den Kommunen übernehmen. Wie bei den mit 1 Euro pro Stunde entschädigten Arbeitsgelegenheiten für Erwerbslose werden damit sozialversicherungspflichtige Stellen verdrängt und die Chancen am Arbeitsmarkt steigen keineswegs.  
  6. Für Geduldete und Asylbewerber wird die Vorrangprüfung eingeschränkt bzw. für drei Jahre aufgehoben. Diese sieht vor, dass das Arbeitsamt prüfen muss, ob nicht auch ein Deutscher oder ein EU-Bürger den Job machen könnte. Dies ist auf der einen Seite eine Verbesserung für die Geflüchteten, die das Recht arbeiten zu können haben müssen. Auf der anderen Seite sind sie ohne sicheren Aufenthaltsstatus und damit besonders erpressbar für niedrige Löhne. Da gleichzeitig die Aufenthaltsbestimmungen im Rahme der Asylpakete verschärft wurden, werden viele Menschen zu Lohndumping gezwungen werden.
  7. Eine positive Veränderung ist, dass Geflüchtete während einer Ausbildung nicht abgeschoben werden dürfen, also für die Dauer der Ausbildung der Aufenthalt zugesichert wird.

IV. Zur Streichung der Sozialleistungen für EU-Bürger

Hintergrund:

Die deutsche Wirtschaft profitiert vom EU-Binnenmarkt besonders stark. Die deutsche Industrie exportierte 2015 58% ihrer Waren in die EU. Die Industrie in vielen EU-Ländern kann mit der deutschen Konkurrenz nicht mithalten. Zugleich profitieren die deutschen Unternehmen von der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EU. Bekannt sind die vielen Saisonarbeiter auf den Feldern oder die Arbeiter aus EU-Ländern in den Schlachthöfen. Wichtige Verträge der EU regelten deshalb, dass alle EU-Bürger in allen Ländern die gleichen sozialen Rechte haben, also auch Anspruch auf Sozialleistungen.

Seit der Krise von 2008 ist die Arbeitslosigkeit in den EU-Ländern sprunghaft angestiegen und viele Menschen aus Süd- und Osteuropa machen sich auf die Suche nach Arbeit in Deutschland. Wer nicht sofort eine Arbeit findet, konnte bisher Hartz IV beantragen. Seit 2011 versucht die Bundesregierung diese Abkommen außer Kraft zu setzen. Dagegen sprach unter anderem ein Urteil des Bundessozialgerichts. Nun soll das Recht auf Sozialleistungen per Gesetz gestrichen werden. 2015 gab es 422.000 Hartz IV-Empfänger aus EU-Ländern. Die CSU hetzte schon lange vor der AfD gegen Menschen aus Osteuropa mit Sprüchen „Wer betrügt, der fliegt“ oder „Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren – bis zur letzten Patrone.“ (Seehofer). Andrea Nahles (SPD) vollzieht jetzt den Entrechtungsakt.

Die neue Regelung im Einzelnen:

  1. Erst wenn man mehr als 12 Monate gearbeitet hat und die Sozialversicherung einbezahlt hat, soll man Anspruch auf ALG I und ergänzend ALG II haben. Oder wenn jemand sich bereits fünf Jahre in Deutschland aufhält.
  2. Gleichzeitig soll eine “Nothilfe” eingeführt werden, die EU-Bürger ohne Anspruch auf Sozialleistungen einmalig beantragen können. Sie soll für höchstens vier Wochen den unmittelbaren Bedarf für Essen, Unterkunft, Körperpflege und medizinische Versorgung abdecken. Danach sollen die Betroffenen ein Darlehen erhalten können, das ihnen die Reise zurück in ihr Heimatland finanziert. Dort können sie dann Sozialhilfe beantragen.