“Man lernt eine Fabrikarbeit, für die es keine Fabriken mehr gibt”

Willkommen bei Affentor
Die Affentor-Schneiderei Frankfurt präsentiert sich modern, schick und mit sozialem Anspruch. Die erfolgreichen Taschen werden schließlich von langzeitarbeitslosen Frauen, meist Alleinerziehenden, „in liebevoller Handarbeit” gefertigt, wie es auf der Website heißt. Das klingt für die Kunden aus dem gepflegten Nordend oder Sachsenhausen umso besser: Beim Shopping etwas Gutes tun. Die Schneiderei ist damit recht erfolgreich und bekommt Aufträge beispielsweise vom Städel, dessen Eintritt sich die liebevollen Handarbeiterinnen nicht leisten können, denn sie verdienen ganze 0,- € die Stunde.

Und das ist der eigentliche Erfolg der Werkstatt Frankfurt, zu der die Affentor-Schneiderei gehört. Sie kassiert Zuschüsse der Stadt und des Arbeitsamtes, lässt Taschen zum Nulltarif produzieren, verkauft sie mit Gewinn und dem Versprechen auf einen festen Arbeitsplatz. Den finden die meisten Frauen tatsächlich auch, wie Frau L., eine ehemalige Auszubildende der Schneiderei berichtet, allerdings nicht als Schneiderin, sondern in der Bäckerei oder Wäscherei. Kein Wunder, ist doch der Beruf der Modenäherin, auf den die Frauen ausgebildet werden, eine Nischenerscheinung. Für August 2010 finden sich für das Rhein-Main-Gebiet ganze drei Stellen für Modenäherin, eine davon in Pirmasens als Änderungsschneiderin im Minijob. Frau L. bringt es auf den Punkt: „Wir lernen eine Fabrikarbeit, für die es keine Fabriken mehr gibt. Ich habe im Fernsehen eine Dokumentation über Schneidereien in den 60er Jahren gesehen, das hat mich an Affentor erinnert.”

Produktion im Mittelpunkt
Die Ausbildungsschneiderei ist kein „Sweat-Shop”, so nennt man ausbeuterische Textil-Manufakturen. Aber auch bei Affentor geht es in erster Linie um Produzieren, alles andere nennt sich dann „selbstorganisiertes Lernen”. Frau L. berichtet vom Arbeitsalltag bei Affentor: „Wir dürfen während der Arbeit eigentlich gar nicht reden, wenn dann nur auf Deutsch.” Die Arbeitszeiten sind von 8:00 bis 14:00, wenn ein Auftrag reinkommt, gibt es Überstunden, dann locker bis 16:00. Nach der Arbeit sollen die Frauen Berichte schreiben, lernen und sich auf Prüfungen vorbereiten. Es gibt keine Berufsschule, sondern Lerngruppen. Dafür sollen den Frauen vier Stunden die Woche zur Verfügung stehen. Das wäre schon zu wenig, erschwerend kommt aber hinzu, dass die meisten Frauen alleinerziehend sind. Dann sieht der Alltag anders aus, wenn man um 17:00 nach Hause kommt, ist erst mal das Kind dran, dann der Haushalt und dann? In Kombination mit der strengen Betriebsordnung, nach der das Handy auszustellen ist, kommt man da schnell in die Bredouille: „Ich habe die Maßnahme angetreten, obwohl mein Kind keine Nachmittags-Betreuung hat. Bei den Überstunden war dann mein Kind fünf Stunden alleine zu Hause, weil der Vater keine Zeit hatte. Ich konnte aber nicht angerufen werden.”

Drei Arbeitsschritte vor und zurück
Die termingerechte Herstellung der Taschen, sowie ihr Vertrieb stehen im Mittelpunkt der „Ausbildungsschneiderei”: „Ausdrücklich wurde betont, dass die Produktion im Zentrum steht. Vorschläge für neue Lernobjekte (Bluse) dürfen nur nach der Arbeitszeit vorgebracht werden, dann hat aber keiner Zeit, etwas zu zeigen, wenn dann für eine oder zwei Minuten. Dann musst du schnell genug sein, das umzusetzen. Das nennt man dann ‚selbstorganisiertes Lernen‘. Wir fertigen drei Modelle, die Arbeitsschritte wiederholen sich immer. Das Nähen der Taschen lernt man schnell, dann kommt nicht viel Neues. Die Arbeit wird nach kurzer Zeit monoton. Ich und eine Kollegin haben versucht, unsere Ideen einzubringen, beispielsweise andere Garne zu benutzen. Aber wir haben aufgehört, da es nichts bringt. Jetzt machen wir nur das, was uns gesagt wird. Meine Kollegin kommt aus Russland, sie wurde dort schon ausgebildet, sie meint, das Niveau der Ausbildung, die Qualität des Lernens, bei Affentor ist sehr schlecht. Man muss sehr schnell nähen. In Russland hat sie am Anfang nur ab und zu testgenäht und ansonsten etwas über Stoffe, Nähtechniken und Schnitte gelernt.” Eigentlich sollen die Frauen auch zu Hause Nähen üben, eine Nähmaschine bekommen sie aber nicht gestellt. Die Ausbildung findet nur an der Maschine statt, das Benutzen von Nadeln ist untersagt.

Keine Aufklärung beim Arbeitsamt
Die Betriebsordnung erlaubt nur 20 Krankentage im Jahr, sonst wird die Ausbildung abgebrochen. Das erfahren die Frauen aber erst nachdem sie die Ausbildung angetreten haben. Der Abbruch der Ausbildung hat laut Jobcenter empfindliche Folgen für die Frauen: Sie sollen ca. 3000,- € Schadensersatz zahlen. Das steht zumindest in der sogenannten Eingliederungsvereinbarung. Das ist ein „Vertrag”, den die Frauen beim Jobcenter unterschrieben haben. So fängt die „Ausbildung” schon mit einer rechtlich sehr bedenklichen Aktion an. Das Jobcenter lädt zu einer „Informationsveranstaltung”, in der über KEA (Kompetenzerfassung im Arbeitsprozess) und den Frankfurter Weg (Ausbildungsprogramm der Werkstatt Frankfurt) berichtet wird. Viele Teilnehmer verstehen nicht, worum es geht. Ihnen wird dennoch eine standardisierte Eingliederungsvereinbarung vorgelegt, die sie unterschreiben sollen, bevor sie den Raum verlassen, da sie sonst eine Kürzung der Leistungen droht (O-Ton vom Veranstaltungsleiter). Das ist natürlich nicht legal, schließlich kann man nicht gezwungen werden, einen „Vertrag” zu unterschreiben, das wäre sonst Nötigung. Aber wer erfährt schon davon, was den Langzeitarbeitslosen so erzählt wird.

Disziplinierung statt Lernen
Dann kommen drei Wochen „Motivationstraining” und anschließend ein Monat Praktikum in einem der Betriebe der Werkstatt Frankfurt. Das heißt 8 Stunden Arbeit in Montage/Verpackung, Demontage oder im Verkauf von gebrauchten Möbeln und anderen Waren. Dann folgt ein weiterer Monat, aber nur wenn man für geeignet gehalten wird. Nachdem man zwei Monate für 0,- € gearbeitet hat, darf man eine Ausbildung in einem Betrieb der Werkstatt Frankfurt beantragen. Diese zwei Monate dienen nur dazu, die Arbeitskraft zu testen: „ Beim Praktikum lernt man nichts, man arbeitet. Bei Neufundland Möbelmontage und im Kleinteillager sortiert man die Ware von Wohnungsauflösungen (Geschirr,…), man säubert, sortiert und beschildert, damit die Ware dann verkauft werden kann. Pünktlichkeit, Einsatzbereitschaft, Motivation und Auffassungsgabe sollen getestet werden, das wichtigste war aber ganz klar Pünktlichkeit.” Die Disziplinierung geht in der Ausbildung weiter. „Ich habe gar nichts gegen Pünktlichkeit und auch nichts gegen hartes Arbeiten, aber ich will auch dabei lernen. Ich brauche keine Disziplinierung mehr, ich habe schon viel in meinem Leben gearbeitet. Ich wollte einen Beruf erlernen, mit dem ich wieder Arbeit finden kann. Bei Affentor wird man aber behandelt, wie wenn man noch nie gearbeitet oder etwas geschafft hätte.”

Gewinne auf Kosten der Arbeitslosen
Die Werkstatt Frankfurt hat eine Produktions-Nische aufgebaut, mit der sich Geld verdienen lässt. Allerdings nur unter der Bedingung, dass der Steuerzahler den Betrieb bezuschusst. Ohne die Zuschüsse würde keine einzige Tasche hergestellt werden können. Letztlich verdient die Stadt Frankfurt mit der Arbeitskraft von Arbeitslosen einiges Geld, gaukelt den Betroffenen und der Öffentlichkeit etwas von Chancen auf dem Arbeitsmarkt vor und gibt sich auch noch das Image des Helfenden. Die Perspektive besteht aber in einem Minijob als Änderungsschneiderin oder als Mitarbeiterin in der Wäscherei. Hätte man dafür Affentor gebraucht? Wohl kaum, aber für den Gewinn und das Image der Werkstatt Frankfurt schon.

Während hier viel Geld verschwendet wird, werden Bildungsgutscheine, die von den Betroffenen beantragt werden sehr häufig abgelehnt, weil angeblich keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt bestehen. Es wäre also sinnvoller, Geld in wirkliche Qualifikation zu stecken, als in die Nischen-Geschäfte der Werkstatt Frankfurt.