Auch EU-Bürger haben Anspruch auf Existenzminimum

Ein Mitglied von Zusammen e.V. klage gegen das Jobcenter Frankfurt, das ihm die Zahlung von Arbeitslosengeld II verweigert hatte. Die Klage wurde am 3.12. vor dem Bundessozialgericht neben zwei weiteren Fällen verhandelt. Hier eine erste Einschätzung des Urteils. 

Das Bundessozialgericht hat ein widersprüchliches, in der Tendenz aber positives Urteil gefällt. Es ging um die Frage, ob EU-Bürger auch Anspruch auf ALG II-Leistungen haben. Die Bundesregierung will seit längerem die Leistungen verweigern und die Jobcenter praktizieren das auch schon. Der Europäische Gerichtshof hatte zuletzt diese Praxis bestätigt. Auf Grund der Klagen von drei Leistungsempfängern musste das Bundessozialgericht nun darüber urteilen. Es kam zu dem Schluss, dass der Ausschluss prinzipiell in Ordnung ist. Das ist die negative Seite des Urteils, denn damit wird eine Ungleichbehandlung von Arbeitssuchenden bestätigt. Aber EU-Bürger, die sich aus einem anderen Grund als nur der Arbeitssuche hier aufhalten muss ALG II gewährt werden. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn hier Kinder zur Schule gehen. Bei EU-Bürgern, die länger als sechs Monate hier sind, ist dann, wenn der „Aufenthalt sich verfestigt“ hat, „im Ermessenswege“ Sozialhilfe zu gewähren.

 

 

Das BSG begründete dies mit der Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Damit relativierte das Gericht die völlige Verweigerung von Leistungen und das ist natürlich zu begrüßen. Allerdings hat der Verweis auf Sozialhilfe Nachteile für die Betroffenen. So sind die Grenzen für Vermögen, das man behalten darf bei Sozialhilfe viel niedriger: Für unter 60-Jährige liegt die Grenze bei 1600,- €, für über 60-Jährige bei 2600,- €. Zudem ist damit zu rechnen, dass die Sozialämter auch versuchen werden, die Betroffenen abzuweisen, denn die Entscheidung muss im „Ermessenswege“ getroffen werden. Der ist zwar sehr eng auf Grund der bisherigen Rechtsprechung, aber damit bleibt eine Unsicherheit für die Betroffenen bestehen.

 

Positiv ist das Urteil für alle, bei denen der Aufenthalt auch anders begründet werden kann, zum Beispiel durch Kinder, die hier zur Schule gehen. Dann müssen die Jobcenter auch ALG II zahlen. Diese Interpretation eines anderen Aufenthaltsgrundes als den der Arbeitssuche sollte versucht werden auszuweiten auf alle Aspekte des Lebens.

 

Das Gericht hat zwischen verschiedenen EU-Bürgern unterschieden. Diejenigen, die aus Staaten kommen, die dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) beigetreten sind, haben ab dem ersten Tag ihres Aufenthalts Anspruch auf Sozialhilfe. Dazu gehören vor allem alle vor 2004 der EU beigetretenen Staaten. Dies begründete das Gericht damit, dass die Bundesregierung keinen umfassenden Vorbehalt gegen das EFA erklärt hatte und deshalb die Gleichbehandlung von EU-Bürgern und Deutschen geboten ist. Dies ist jetzt nur bedingt der Fall, die Absicht der Bundesregierung EU-Bürgern den Bezug von Leistungen zu erschweren oder ganz zu versagen, ist zumindest halb gelungen. 

 

Nicht dazu gehören Bulgarien, Rumänien und Polen. Für Menschen aus diesen Ländern gilt der Anspruch erst, wenn sich der Aufenthalt verfestigt hat, frühestens nach sechs Monaten. Wer also zum Beispiel nach zwei Monaten seinen Job verliert, hat kein Recht auf ein Existenzminimum.

 

Den Fall unseres Mitglieds aus Griechenland verwies das BSG an das hessische Landessozialgericht zurück mit der Aufgabe noch einmal zu prüfen, ob nicht doch Anspruch auf Leistungen bestehen würden, da sich das Aufenthaltsrecht nicht nur aus der Arbeitssuche ergibt, sondern aus dem vorherigen Aufenthalt.

Auch den Fall „Alimanovic“, der vom EuGH negativ entschieden wurde, gab das BSG an das Landessozialgericht zurück, da geprüft werden müsse, ob die Familie nicht Aufenthaltsrecht zu Schul- oder Berufsausbildung gehabt hätte.

 

Was müssen die Betroffenen jetzt machen?

Der früher beim Jobcenter gestellte und abgelehnte oder nicht bearbeitete ALG II- (SGB II) – Antrag löst rückwirkend einen Sozialhilfe- (SGB XII) – Anspruch aus. Dieser SGB XII-Anspruch ist rückwirkend bis max. Januar des jeweiligen Vorjahres geltend machbar.

 

Die vielen Unionsbürger, denen bisher der Bezug verweigert wurde, sollten nun alsbald zum Sozialamt gehen und Leistungen beantragen. Hierbei ist aber zu beachten, dass andere Vermögensgrenzen existieren, so 1.600 € für unter 60-Jährige, 2.600 € für über 60-Jährige, zzgl. 614 € für Ehegatten und 256 € jede weitere Person, sowie dass kein Kfz geschützt ist.

Der Zeitraum, für den rückwirkend Leistungen gezahlt werden müssen geht bis zum Januar des Vorjahres. Wer also schon seit Januar 2014 keine Leistungen erhält, jetzt aber erhalten müsste, muss bis Ende Dezember 2015 den Antrag stellen.