Unser Leben ist in Gefahr

Ein Flüchtling berichtet über die rassistische Verfolgung in Griechenland

Interview mit Bashirollah Safi, 24 Jahre alt. Herr Safi ist 2006 aus Afghanistan nach Pakistan geflüchtet. Sein älterer Bruder kam durch Kriegshandlungen zwischen den Taliban und US-amerikanischen Truppen ums Leben. So musste Herr Safi als nun ältester Sohn die Verantwortung für die gesamte Familie übernehmen, da der Vater schon seit längerem verstorben war. Im Mai 2006 verließ Herr Safi, im Alter von 18 Jahren mit seinem jüngeren, damals 9 Jahre alten Bruder Pakistan, um nach Europa zu gelangen. Die Flucht führte über Iran nach Griechenland.

Herr Safi, was geschah bei Ihrer Ankunft in Griechenland?
Wir mussten eineinhalb Monate im Gefängnis verbringen. Danach legte uns die Polizei ein Papier vor, das ich nicht verstand. Sie wollten, dass ich das unterschreibe. Das habe ich dann auch getan. Ich hatte Angst etwas falsch zu machen. Die Polizei begleitete uns nach draußen und wies uns auf ein Auto, das uns mitnehmen würde. Mein Bruder und ich stiegen ein. Es stellte sich heraus, dass das Kidnapper waren, die aus uns Geld herauspressen wollten.

 

Wie lange waren Sie dann in den Händen der Kidnapper?

Neun Tage. Wir wurden geschlagen und misshandelt. Ich habe bis heute die Brandwunden, die mir zugefügt wurden. Dann sind wir geflohen.

Wo sind Sie dann hin?

Wir sind zur Polizei. Wir haben damals die Zusammenhänge noch nicht verstanden. Auch dort wurden wir sehr schlecht behandelt. Es war eine der schlimmsten Zeiten für uns. Es waren harte 12 Tage. Zum Glück wurden wir dann freigelassen. Seitdem waren wir in einem so genannten Camp mit 12 Leuten untergebracht.

Wie ist die Versorgungslage für euch in Griechenland?

Es gibt eigentlich keine Versorgung. Wir haben nur Essen bekommen. Sonst gar nichts: kein Geld, keine Kleidung, keine richtige medizinische Versorgung. Von 2008 bis 2010 habe ich gearbeitet. Davon konnten wir leben. Aber dann habe ich die Arbeit verloren, weil die wirtschaftliche Lage immer schlechter wurde. Seitdem habe ich, trotz vieler Anstrengungen keine Arbeit mehr finden können.

Sie waren ja schon letztes Jahr bei uns im Verein, was war damals der Grund ihres Besuchs in Deutschland?

Die Situation in Griechenland wurde immer schwieriger. Die Behörden hatten mir und meinem Bruder eine Asylanerkennung gegeben. Aber nur ich bekam einen Reisepass. Damit bin ich dann nach Deutschland, um herauszufinden, ob es eine Möglichkeit gibt, mit meinem Bruder hierher umzusiedeln und nach Arbeit zu suchen. Aber es stellte sich heraus, dass es – gerade wegen der Anerkennung – nicht möglich war. Also bin ich wieder zurück, um bei meinem Bruder zu sein. Ich war zig Mal bei den griechischen Behörden, um meinem Bruder einen Pass ausstellen zu lassen. Wir wurden aber immer aufs Neue abgewiesen, manchmal sogar mit Handgreiflichkeiten. Ich habe aber die Verantwortung für meinen Bruder und kann ihn dort nicht alleine lassen.

Sie sind vorgestern – also ein Jahr später – wieder hier in Deutschland eingereist. Was ist der Grund?

In Griechenland ist unser Leben in Gefahr. In diesem letzten Jahr hat sich die Lage sehr verschärft. Wir Migranten, egal ob Iraner, Afghanen, Syrer, Türken oder Kurden, wir werden auf den Straßen angegriffen und gejagt. Schon vor einem Jahr war es nicht möglich als Mensch in Griechenland zu leben, aber mittlerweile ist unser Leben in Gefahr. Jeden Tag steigt die Gefahr für uns. Viele Migranten gehen nicht mehr auf die Straße, weil sie Angst vor Übergriffen haben.

Vor wem haben sie denn konkret Angst?

Vor den Faschisten und vor der Polizei. Die arbeiten Hand in Hand. Und wenn wir angegriffen werden, hilft uns keiner, die Leute nicht und auch nicht die Polizei.

Gab es auch Angriffe auf Sie und Ihren Bruder?

Ja. Eines Tages kam mein Bruder von der Schule und sein Arm war gebrochen. Er wurde auf der Straße von mehreren verfolgt und zu Boden geworfen. Dann wurde er geschlagen und sein Arm wurde ihm dabei gebrochen. An einem anderen Tag war ich mit Bekannten unterwegs.                     Wir wurden von 4-5 Motorrdfahrern angegriffen. Es saßen jeweils zwei Personen auf jedem Motorrad. Ich habe ein paar Schläge abbekommen und sah wie der eine Bekannte direkt mit dem Motorrad angefahren wurde. Ein Motorrad fuhr dann auf ihn drauf. Nach ein paar Stunden war er tot. Ich selbst bin geflüchtet und habe erst später von seinem Tod erfahren.

Wie bewältigen Sie den Alltag unter solchen Bedingungen?

Es ist schwer. Als Ausländer wird man überall diskriminiert. Nicht einmal die Taxifahrer nehmen einen mit. Ich selbst war beim Arzt, weil ich nicht mehr schlafen konnte. Mir ging es richtig schlecht. Ich habe starke Tabletten verschrieben bekommen. Da es mir nicht gut ging, wollte ich mit einem Taxi nach Hause fahren. Aber der Fahrer winkte ab. Es nahm mich keiner mit. Ich habe in letzter Zeit sehr oft an Selbstmord gedacht. Bei uns zu Hause in Afghanistan ist alles zerstört. Auch in Griechenland und vielleicht in ganz Europa haben wir keine Zukunft. Da ich der Älteste in der Familie bin, muss ich mich um die Familie kümmern. Aber wie soll ich das bewerkstelligen? Ich habe das Gefühl, dass alle Türen vor mir geschlossen sind und dass ich keinen Ausweg finde. Mittlerweile kann ich ohne Medikamente nicht mehr leben. Ich habe, bevor ich zum Arzt ging, eine Woche lang nur zwei Stunden schlafen können. Können Sie sich das vorstellen? Ich habe alle Atteste bei mir.

Sie haben Recht: es ist schwer, sich das vorzustellen. Soweit ich weiß, sind die meisten Migranten in Griechenland junge alleinstehende Männer?

Ja, das stimmt. Und die allermeisten sind unter dreißig. Viele sind noch Kinder. Meine Situation ist nicht einzigartig. Uns allen geht es so. Wir alle sind in Lebensgefahr und haben keine Perspektiven. Viele Leute, die ich kenne, greifen zu Drogen. Manchmal auch zu harten Drogen. Das ist dann eine richtige Sackgasse, aus der viele nicht mehr herauskommen. Wissen Sie, wenn mein großer Bruder nicht im Krieg getötet worden wäre, dann wäre ich überhaupt nicht nach Deutschland gekommen. Ich hätte die Schule besucht und könnte bei meiner Familie sein. Als er tot war haben die Taliban gesagt: „Sorry“, dann kamen die US-Amerikaner und sagten: „Sorry“. Wir wissen nicht einmal, wie er genau ums Leben kam und wer die Schuld trägt. Ich weiß nur, dass ich keine Schuld habe an dieser ganzen Situation. Seit ich mein Land verlassen habe, habe ich nichts getan, was anderen Menschen geschadet hat. Ich habe auch nichts Illegales gemacht. Aber immer wird uns das Gefühl gegeben, dass wir Schuld sind an unserer Situation.

Was haben Sie gemacht, als Sie vorgestern in Deutschland angekommen sind?

Ich habe mich ordnungsgemäß hier gemeldet. Man hat ja gesehen, dass ich aus Griechenland komme, aber keiner hat mich gefragt, wie es mir ergangen ist. Ich bin sicher, dass es bekannt ist, dass Faschisten dort zurzeit Jagd auf Migranten machen. Von einem Menschen hätte ich erwartet, dass er wenigstens fragt, wie es einem denn geht. Aber nein: mein Pass wurde auf die Theke geworfen und gesagt, dass ich nach drei Monaten wieder abreisen muss. Das hat mich sehr verletzt. Schließlich bin ich ein Mensch.

Was erhoffen Sie sich von Ihrem Aufenthalt hier in Deutschland?

Ich möchte gerne einmal vortragen können, wie es uns ergangen ist und wie es uns zurzeit ergeht. Ich will aufzeigen, dass wir keine Schuld tragen an dieser Situation und dass unser Leben in Gefahr ist. Ich erwarte von Deutschland, dass man uns hier aufnimmt und uns Schutz gewährt. Ich möchte arbeiten können, damit ich für meine Familie und für mich sorgen kann. Es ist für uns nicht möglich, in einem Land wie Griechenland zu leben. Ansonsten weiß ich nicht weiter.